"Springe, Parkstraße" ist mein erster Krimi, und er spielt hier, weil Springe meine Heimat ist. So sehr ich mich manchesmal um sie sorge. Der Krimi spielt auch in Hannover, das ich sehr liebe und Wennigsen, das Sylt am Deister.

 

Das Manuskript ist nicht lektoriert, und es ist eher unwahrscheinlich, dass es veröffentlicht wird.

 

 

 

Martin Creutzig

 

Springe, Parkstraße

 

Kriminalroman

 

 

 

1    23.09.2013, Springe, Am Kalkwerk, 7.00 Uhr

 

Es ist sieben Uhr morgens. Mein Handy klingelt. "Frau Herfort, Sie wohnen doch in Springe oder?" Ich gähne ins Telefon: "Ja, Herr Johannson!" "Das trifft sich richtig gut." "Ne, nä", meine ich nur kurz, weil ich ahne, was da kommen wird. Ich bin noch in meine Kissen und meine Bettdecke gekuschelt, und ich fühle förmlich, dass es draußen einfach noch zu kalt ist. Und ich habe keinen Bock auf so was.

 

Charleen, meine Tochter stürmt in mein Schlafzimmer. Sie hat das Telefon gehört. Sie hat das schon mal erlebt. Es gab irgend so eine Tat im Steinkrug und ich musste weg zum Tatort. Da habe ich sie allein gelassen. Das hat sie nie verkraftet. Charleen ist ein so sensibles Mädchen! Wenn das Telefon morgens oder abends klingelt, dann ist Charleen auf 180; sie hört gerade mit. "Du fährst nicht bis ich in der Schule bin", kreischt Charleen. "Frau Johannson, wir haben einen Mord in der Parkstraße 7 und Sie fahren da jetzt hin!" "Du lässt mich jetzt nicht allein! Du fährst mich in die Schule wie an jedem Tag, ich möchte Salami auf die obere Hälfte und Bio-Schafskäse auf die untere Hälfte."

 

Frau Katrin Herfort hat keine Ahnung, was sie tun soll.

 

"Also fahren Sie Ihren pubertierenden Panz in den Kindergarten und dann bewegen Sie Ihren Hintern sofort zum Tatort", kommandiert Johannson. "Also erstens ist mein Kind kein `Panz`, Herr Johannson, und zweitens geht mein Kind auch nicht in den Kindergarten sondern höchst erfolgreich mit ihren 16 Jahren auf das Otto-Hahn-Gymnasium und drittens wissen Sie, dass ich allein erziehend bin und viertens gehört mein Arsch mir." Mir wäre das vierte Argument fast ausgegangen, als ich merke, dass Johannson schon längst aufgelegt hat. Dafür hat mein Blutdruck schwindelerregende Höhen - vermutlich.

 

"Kack-Mord", denke ich und schwinge mich aus dem Bett in Richtung Bad. "Ne, ne", sagt Charleen darauf hin, "es dauert doch alles länger, wenn Du erst ins Bad gehst statt das Frühstück zu machen. Ich gehe zuerst. Dann kann ich frühstücken und Du bist fit für Deinen bescheuerten Fall." Charleen schafft Fakten, Weil sie schneller als ich aufspringt und im Bad verschwunden ist.

 

Es fehlt ein Mann im Haus. Ein zu diesem Zeitpunkt völlig unnötiger Gedanke. Ich habe ihn öfter mal, neu ist zehn nach sieben morgens.

 

Ein Teilzeit-Stammesfürst würde schon reichen, der den autoritären Vater mimt und mir richtig unter die Arme greift. Das wäre es! Ich mache das Frühstück. Es stört eine Leiche wenig, wenn die Kommissarin stinkt, na ja wird so schlimm nicht sein. Und ich trage eine dieser praktischen Kurzhaarfrisuren. Da fettet das Haar nicht so schnell. Also kann man mal auf die Wäsche verzichten. Da soll mir kein Kerl um die Ecke kommen, dass er eine Mähne möchte. Mir kommt nur ein Kerl um die Ecke, der mich nimmt, wie ich bin. Er hat den Spaß und ich wasche die Dinger wie blöd, soweit kommt´s noch. Ne, nicht mit mir. Warum kann man so viel denken auf einmal und das um die Uhrzeit? Alles trash-Gedanken, Ablenkung vor der Kälte da draußen und dem blöden Mord. Als Charleen aus dem Bad kommt, steht das Frühstück auf dem Tisch.

 

Charleen hat sich auch beeilt. Sie hat ihre tolle Mähne nur ein wenig gefönt, so dass sie noch feucht ist. Ich bemerke, dass ich eine wirklich tolle Tochter habe.

 

"Der Bus geht gleich", nöle ich Charleen an. "Ne, ne Du fährst mich und dann kannst Du ja zu Deinem ´Fall` fahren", motzt Charleene mich an und betont das Wort `Fall`, als wäre es eine Krankheit, Pest, Cholera, Aids oder so was. Ich merke gar nicht richtig, wie meine Schultern zucken und ich mich wie in Trance zur Garderobe bewege, mir den Autoschlüssel nehme, um kommentarlos Charleen zur Schule zu fahren. Charleen steht ruhig auf. Ich bemerke, dass aus ihr eine richtige kleine Lady geworden ist. Löwenmähne, eine schlanke Figur in enger Jeans mit viel längeren Beinen als ich sie habe und Busen hat die Lady auch schon so richtig. So ein Morgen mit so vielen Erkenntnissen kann einem schon richtig den Tag versauen.

 

Ich stürze mit Charleen aus dem mehrstöckigen Haus aus den siebziger Jahren. Mein Golf steht dicht an der Eingangstür auf dem großen Parkplatz. Ein Architekt hatte damals viele Berliner nach Springe gelockt und für diesen Zweck die ersten Hochhäuser gebaut mitten in die Idylle einer Ackerbürger-Stadt. Die fast ersten, denn das Erste hat ein Bohnerwachs-Fabrikant errichtet. Und beim Folgenden hat eine Bank mitten in der Stadt die Füße nicht stillhalten können. Wirtschaftlicher Totalschaden, weil es wohl abgerissen wird.

 

Wie immer das Kapital – ich kenne mich schon gut aus in Springe!

 

Als ich Charleen endlich am Otto-Hahn-Gymnasium abgesetzt habe, sehe ich auf die Uhr: "Oh Scheiße, schon kurz vor acht."

 

Ich gebe Gas, immer geradeaus und übersehe, dass ich eigentlich rechts abbiegen muss. Einbahnstraße, Durchfahrt verboten. Ich fahre durch, andere Eltern blinken auf in ihren Autos und hupen. Mir doch egal, zeigt mich doch an. Es ist ein Mordfall!

 

Die Parkstraße ist in ein Blaulichtmeer getaucht. In Hannover passieren eben häufiger Morde. Da kommt, was vonnöten ist. Bei diesem Anblick in Springe frage ich mich, warum nicht auch noch das THW angerückt ist. Die Parkstraße ist natürlich abgesperrt von oben und von unten, so als ob der Täter noch gleich mit einem Transparent durchs Gebüsch gesprungen kommt mit der Aufschrift: "Ich war es. Hasch mich oder lass mich laufen." Wie es mich ankotzt, wenn man mich so früh aus dem Bett holt.

 

Als ich mit meinem Golf IV durch die Absperrung fahren will, rüpelt mich gleich so ein Jungbulle aus Bad Münder an: "Abgesperrt, sehen Sie doch oder?" Man hat die Kollegen aus Bad Münder also gleich hinzugezogen. "Mordkommission Hannover, Hauptkommissarin Herfort" und ich zücke meinen Ausweis und halte ihm den so vor die Nase, dass er ihn nicht lesen kann. "Leiterin der Ermittlung", ergänze ich. Der Jungbulle, Kollege, springt zur Seite, reißt das Flatterband weg und fast erwarte ich ein Angebot für die Politur meines alten Golf. Hierachien eben. Der würde es nie werden bei mir. Weichei! Springe ist doch echt geil, Bad Münder noch geiler. Ich hätte ihn fragen sollen, ob er aus Bakede, Beber oder Böbber kommt. "Du kleine Welfensau", denke ich. Schließlich komme ich nicht aus Springe und schon gar nicht aus Bad Münder sondern aus Hannover aber ursprünglich aus Esens, Nordfriesland.  Hier gelandet bin ich statt in Hannover, weil es billiger ist hier zu wohnen und auch ganz schön – landschaftlich und ruhig, so eben Totenstille, wie ich es mir anfangs nicht ausgemalt hatte. Aber ein geiles Gymnasium haben sie, die Springer! Nachdem ich alleinerziehend bin, weil ich es so wollte. Da hat es keine Andere gegeben oder plötzlich eine Jüngere. Dieses scheiß Klischee. Es hat einen One-Night-Stand gegeben und er hat nicht gepasst, im Bett schon und sonst nicht, was vorher klar gewesen ist. Das sind vielleicht Gedanken am Morgen!

 

Die Straße ist voll von Polizei und Rettungsfahrzeugen. Wo soll ich parken? Also fahre ich kackfrech auf die Auffahrt der Villa, denn da steht respektvoll nur ein Einsatzfahrzeug unserer Zunft. Die Beamten mustern mich misstrauisch bis ich wieder meinen Dienstausweis zücke.

 

 

 

Die Villa ist weiß gestrichen. Ein Bau aus den sechziger Jahren – so schätze ich es ein. Eine Beamtin, dunkelhaarig, sehr sympathisch, etwas mollig wie ich, nimmt mich in Empfang. Sie steht am Eingang der Villa. "Kommen Sie einfach mit", sagt sie. Sie führt mich hinein in einen kleinen Flur, der in einem großen Wohnzimmer endet. Sie führt mich an dem Wohnzimmer vorbei in einen schmalen Gang. Irgendwo da liegt die Küche. Sie lotst mich weiter zu einem neuen großen Raum.. Der Pool ist ein eigener Raum, ein Anbau. Filigrane Wandfliesen sind verlegt an der Wand, türkis- und blaufarben aus den Sechzigern; dort riecht es  nach Chlor. Der Poolanbau gibt den Blick frei auf einen ziemlich kleinen Garten. Muss mal mehr gewesen sein, die Größe passt nicht zur Villa. Das bemerke ich nur am Rand. Denn neben dem Pool liegt die Leiche einer Frau. Ich gehe auf diese Frau zu und gehe in die Knie vor ihr.                          

 

Eine dunkelhaarige Frau, die voll bekleidet ist. Sie trägt eine Jeans, flache Schuhe und einen dicken Pullover – Winterschwimmen  oder was? Das Neueste nach dem Wintergrillen. Der Gerichtsmediziner aus Hannover kümmert sich gerade um sie. "Ein letzter Liebesdienst", denke ich. "Das ist Sabine Ackermann", sagt ein Kollege neben mir, "fünfundvierzig Jahre alt in Scheidung lebend von dem Unternehmer John Ackermann. Die Putzfrau hat sie gefunden. Die Putzfrau kam um halb sieben. Die Tochter ist gerade bei der Oma, sie ist sechs Jahre alt." Meinen Kollegen habe ich noch gar nicht wahrgenommen bis auf den Vollbart. Ich habe nur seine sonore Stimme gehört. Ich sehe auf zu der Stimme. Ein untersetzter Kollege mit einem feinen Gesicht, das Erfahrung widerspiegelt. Ein "Justitia-Kollege", abwägend. Kein Weichei wie der von der Absperrung oder mein Kollege Justus Meier. Aber er ist untersetzt, das wird dann wohl nichts. Wer denkt schon morgens kurz nach acht an so was? Wird es denn was mit den Vollbärten aus der alternativen Szene, den Hungerhaken im Alter von vierzig bis fünfzig?

 

Diese Gedanken schießen mir binnen Sekunden durch den Kopf. Aber ich bin irritiert, weil diese Gedanken hier nun wirklich nichts zu suchen haben. Und sie sind auch völlig irrelevant. Es ist einfach zu viel für einen solchen Morgen.   

 

Der Gerichtsmediziner ist ein blasser hagerer Typ um die fünfzig. Er trägt eine große Brille aus den Achtzigern und hat eingefallene etwas graue Wangen. Kellerassel eben. Weder sieht er aus wie Professor Börne noch schwäbelt er wie der Typ in den Hannover-Krimis von dieser Mischke. Mein Chef ist auch nicht Bodo Völxen und mein Assistent Meier ist nicht Rodriguez. Meinem Chef täten ein paar Schafe schon gut.

 

Den Gerichtsmediziner kenne ich bislang nicht. Aber er ist der Typ von Mann, vor dem sich eine Frau in ein Frauenhaus vor Langeweile flüchten würde.

 

Er meint, dass eine Gewalteinwirkung bislang nicht festzustellen sei. Vielleicht habe die Frau unter Drogen oder Alkohol gestanden und sei dann einfach in ihren Pool gefallen. So schwub die wub, die blau in den Pool und dann ersoffen. Kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht würden sich doch noch Spuren von Gewalteinwirkung finden in der Gerichtsmedizin. Vielleicht sei die Frau auch nur einfach ertränkt worden mit einem Gegenstand. Keine Ahnung mit was, meint der Gerichtsmediziner. Wir bekommen den Bericht, weswegen ich mir sein Gesicht erst gar nicht gemerkt habe. Frau Ackermann ist eine attraktive Frau gewesen, finde ich.

 

Ich sehe kniend auf die Leiche. Ich sehe ebenmäßige Gesichtszüge. Bernsteinfarbene Augen und fast pechschwarze Haare. Ich sehe volle Lippen und einen schmalen Körper mit breiten Schultern und einer Oberweite, für die ich neidisch werden könnte. Männer nennen so was: "Topp-Frau". Nur irgendwie etwas alternativ. Als ob sie nicht so richtig zu der Villa hier passen will. Nicht, dass ich eine Dame im Armani-Kostüm in ihrem Pool erwartet hätte. Nein, das ist es nicht. Irgendwie wirkt die tote Frau in ihrem Pullover und ihrer Jeans so, als würde sie etwas zu wenig Wert auf ihr Aussehen legen – in Anbetracht auf das ganze Drumherum. Wie die Villa, der Poolraum und so.

 

`Frau Ackermann`, denke ich, `was immer der Grund Deines Todes war, wir werden es herausfinden`, formuliere ich in astreiner Kassiererinnensprache. 

 

So verabschiede ich mich von einer Leiche im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland. Als ich mich gerade vom Acker machen will, frage ich noch danach, ob es Einbruchsspuren gibt, aber die gibt es natürlich nicht. Eine Beziehungstat, das ist ja klar. Es scheint im Haus auch nichts zu fehlen. Es ist so, wie ich denke. Ich denke an die arme Tochter von Frau Ackermann, die nun im Alter von sechs Jahren ihre Mutter verloren hat. Furchtbar. Ich fahre zur Dienststelle. Tötungsdelikte aufgrund von Beziehungen kommen häufiger vor als man denkt. Oft sind es wirklich niedere Gründe, warum ein Mensch sterben muss. Wir ermitteln und haben oft ganz schnell die Täter. Einbrecher kommen leichter davon.

 

Impulstaten hinterlassen jede Menge Spuren. Tötungsdelikte zwischen Deutschen kommen weit weniger vor, sie kommen natürlich vor, bei Ausländern noch mehr, aber das ist ein Reizthema.

 

In meinem Auto formt sich bereits die Vorstellung, dass ich ganz dringend mit John Ackermann sprechen muss. Taten wegen der Eifersucht oder wegen irgendeiner Rache sind so selten ja nicht, leicht untertrieben. Schließlich war Frau Ackermann in Scheidung lebend: da stellt sich dringend die Frage, wer eigentlich John Ackermann ist.                                                                                                         

 

Ich komme im Revier in Hannover an. Ich stelle den Wagen ab und eile hinauf in mein Büro. Auf der Treppe fällt mir ein, dass ich die Villa noch gar nicht näher in Augenschein genommen habe. `Irgendjemand von den Kollegen hätte mich doch daran als Leiterin der Ermittlung erinnern können`, sage ich zu mir selbst. `Das hätten die Kollegen in Hannover natürlich getan. Zum Beispiel wäre das Schlafzimmer des Tötungsopfers von Interesse gewesen oder die Frage, ob sie Besuch gehabt hat. Die KTU wird das berichten, und ich kann morgen noch mal zu der Villa fahren.` Justus Meier ist bereits informiert und hat die Fakten zusammengetragen.

 

"Frau Ackermann ist eine Architektin", berichtet Meier. "Sie macht Innenarchitektur oder machte. Ihr Mann ist ein Betriebswirt und produziert Handschuhfachdeckel für Autos in ganz Europa. Er produziert in Springe und in der Ukraine. Er produziert für VW und damit für SEAT, SKODA und sogar für Bentley. Seine Augen leuchten, als das Wort `Bentley` über seine Lippen kommt.

 

Ich winke ab. "Und wo ist Herr Ackermann zur Zeit?" "Herr Ackermann ist zurzeit in der Ukraine, das haben die Springer Mitarbeiter mitgeteilt, die ich angerufen habe." "Ja, wirklich schön, dann organisieren Sie mir mal den Herrn Ackermann hierher und zwar pronto." Ich gieße mir am Kaffeeautomaten den ersten Kaffee des Tages ein.